»Einführung in die Analytische Psychologie C. G. Jungs« – Dr. Susanne Gabriel setzt Online-Seminarreihe fort

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An die 60 Psycholog:innen und Interessierte konnte Susanne Gabriel am vergangenen Samstag (6. Februar) im neuen Zoom-Videoraum der C. G. Jung-Gesellschaft Köln in ihrem Seminar über die Grundlagen der Analytischen Psychologie Carl Gustav Jungs begrüßen. Das waren deutlich mehr, als im Veranstaltungssaal in der Melanchthon-Akademie Platz gefunden hätten; eine erfreuliche Bestätigung, dass die virtuellen Überbrückungsangebote auf Zustimmung stoßen.

Susanne Gabriel schlug in drei großen Abschnitten einen Bogen ausgehend vom Jung’schen Schichtenmodell der Psyche zum „Herzstück“ der Analytischen Psychologie, dem Selbst und dem Individuationsweg. Mit Einblicken in die Traumarbeit und die Aktive Imagination erläuterte sie anhand von Beispielen die beiden zentralen Methoden des Ansatzes von Jung.

Am Modell des Eisbergs wurde eindrücklich, welch schmalen Anteil das Ich und das Bewusstsein – im Bild knapp über der Wasserlinie liegend – einnehmen. Das darunter liegende persönliche Unbewusste ist durch Komplexfelder strukturiert, die psychische Energie binden, wenn sie sich als konkrete Komplexe (Eltern-/Geschwister-/Angst-/Schuldkomplex u.a.m.) in biographischen – in der Regel konflikthaften – Erfahrungen konstellieren und „aufladen“. Plastisch stellte Gabriel dar, wie Gefühle und emotionale Wahrnehmungen in konkreten Situationen auf negativ bzw. einseitig aufgeladene Komplexe verweisen, wie sie sich auch in Träumen als Brenn- und Knotenpunkte des eigenen Lebens zeigen können. Durch Auseinandersetzung und Bearbeitung setzen sie gebundene psychische Energie frei und spielen dadurch für den Individuationsweg, also für die persönliche Entwicklung eine besondere Rolle. Dabei legte Susanne Gabriel Wert darauf, Komplexe in erster Linie als „normale Lebenserscheinungen“ zu verstehen, die erst dann therapiebedürftige Wirkungen entfalten, wenn sie sich stark verdichten und ihre Energie nicht mehr für die differenzierenden Entwicklungsaufgaben des Ich bzw. des Bewusstseins freisetzen können.

Ausführlich stellte sie dies am Beispiel des Schattenkomplexes dar, in dem sich die vom Ich verdrängten, nicht akzeptierten, „unidealen“ Anteile der eigenen Persönlichkeit ansammeln, die sich oftmals in abspaltenden Projektionen auf andere oder auf ein „Außen“ zeigen. Wie Schattenprojektionen auch in gesellschaftlichen Gruppen wirken, verdeutlichte sie am Beispiel von Fremdenhass, wenn „andere“ zum Träger eigener Destruktivität und Angst umgedeutet und im Extremfall zum realen Vernichtungsziel werden.

Zugleich liegen im „Schatten“ auch die Anteile von „ungelebtem Leben“, also gerade die positiven Potenziale für die eigene Weiterentwicklung. Sie machen sich ganz besonders in der zweiten Lebenshälfte – häufig als Krisen – bemerkbar und wollen als Individuationsaufgabe verstanden werden.

Das kollektive Unbewusste, dessen Entdeckung wesentlich zur Trennung C. G. Jungs von Sigmund Freuds Auffassungen beitrug und 1913 zum Ende ihrer langjährigen Freundschaft führte, ist vermutlich auch das, was viele Menschen bis heute mit dem Namen Jungs verbinden. In zahlreichen interkulturellen Studien, auf Reisen und in Begegnungen mit Angehörigen indigener Völker, im Studium von Mythen, Kunst und Literatur und in der Wahrnehmung und Beobachtung seiner psychiatrischen Patienten und Analysanden stieß Jung immer wieder auf gemeinsame, kollektiv über die Menschheitsgeschichte vorhandene Bilder und Vorstellungen, die er als Archetypen klassifizierte und als Strukturelemente eines umfassenden transpersonalen Bereich des Unbewussten beschrieb. Dazu gehören zuvorderst die Repräsentationen von Animus und Anima, der Archetypus des Helden, des Alten Weisen, der Mutter/des Vaters, des göttlichen Kindes. Den Archetypen ist zu eigen, dass sie weltumspannend in allen Zeiten und Gesellschaften auftreten und wirken, dass sie „autonom“ sind, keine eigene greifbare Form haben, sondern sich in bildhaften Variationen, Erzählungen („Narrativen“) darstellen. Sie sind polar – können sich also sowohl positiv wie negativ ausdrücken -, und wirken durch ihre psychische Energie damit in den „unverfügbaren“ Tiefen der Psyche als größte und kostbarste Schöpfungskraft des Menschen. Als „Quelle unserer Inspiration, des Ergänzenden und Korrigierenden, des Weiterführenden“, als „großes Kreativitäts- und Heilungspotenzial“ beschrieb Susanne Gabriel die archetypische Strukturierung des kollektiven Unbewussten und verdeutlichte beispielhaft, wie etwa jedes individuelle, persönliche Mutterbild auch im Mutterarchetypus verankert ist. Dass also auch ein hochaufgeladener negativer Mutterkomplex (im persönlichen Unbewussten), der sich durch Vernachlässigung oder Gewalterfahrung in der Kindheit wirkungsmächtig konstelliert hat, durch positive archetypische Bildvarianten kompensiert werden kann in der analytischen Arbeit.

Als primären Archetypus identifizierte Jung das „Selbst“, das er zugleich als Gesamtheit der Psyche verstand. Es hat einen eigenen Kern und umfasst sowohl das Ich und das Unbewusste. Als Archetypus der Ganzheit funktioniert er als Regulationsinstanz der Gesamtpsyche, als Ziel des Individuationsweges: „Als Ziel ist Ganzwerden eine Utopie, die wir nie erreichen, wir sind bestenfalls auf dem Weg, und auf diesem Weg bleibt man auch immer wieder einmal stecken. Der Prozess indessen erfüllt die Dauer des Lebens mit Sinn.“, zitierte Susanne Gabriel aus C. G. Jungs Werk.

Im Schlussteil ihres Seminars verdeutlichte Gabriel an eindrücklichen Beispielen, wie z.B. in der sorgsamen Beachtung von Träumen der Kontakt zwischen Bewusstsein und Unbewusstem intensiviert und gepflegt werden kann. Träume als Mitteilungen aus dem Unbewussten an das Ich sind grundsätzlich konstruktiv und vorrangig unter dem Gesichtspunkt der Erweiterung und Lösung anzusehen. Dies gilt auch für die Aktive Imagination als einer von Jung über viele Jahre entwickelten Methode, die seelische Prozesse beobachtbar macht und Wandlungen anstößt.

„Werde, der du bist“ ist das Leitbild, von dem die Jungsche Idee des Individuationsweges als existenzieller, sinnerfüllter Lebensaufgabe jedes einzelnen Menschen getragen wird.

An das Seminar schloss sich ein intensiver Austausch mit den Teilnehmern an, der auch eine halbe Stunde über der Zeit fortgesetzt wurde. Das große Interesse und viele Wünsche nach Vertiefung nahm Susanne Gabriel als Impuls für ein Folgeseminar auf, das im Laufe der nächsten Monate in die Online-Seminarreihe integriert werden soll.

Claudia Zumbrock