Aktive Imagination

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Die Aktive Imagination (lat. activus: treibend, handelnd, tätig; lat. imago: Vorstellung) ist eine von C. G. Jung entwickelte Methode der Auseinandersetzung mit dem Unbewussten, die mit Selbsterfahrungsprozessen einhergeht und Persönlichkeitsentwicklung ermöglicht. Es geht darum, innere Bilder aus dem Unbewussten aufsteigen zu lassen, mit ihnen kreativ und schöpferisch umzugehen und auf diese Weise mit den tieferen Schichten der Seele in Kontakt zu kommen. Die Aktive Imagination ist neben der Arbeit mit Träumen, Symbolen, Märchen und Mythen eine der wesentlichen Methoden der Analytischen Psychologie.

Die Aktive Imagination ist eine freie Imaginationsform ohne Vorgaben oder Leitung durch die Therapeutin, den Therapeuten. C. G. Jung beschrieb ihre Theorie erstmals in seinem Aufsatz über die Transzendente Funktion 1916. Mit dieser tiefenpsychologischen Methode hat er die uralte Idee der Polarität zwischen einem begrenzten und einem umfassenderen inneren Subjekt, die miteinander in Austausch gehen können, aufgegriffen. Dieses innere Zwiegespräch der Seele mit sich selbst geht weit über das gängige Schema der Selbstreflexion hinaus; aus Jung’scher Sicht ist es ein Austausch zwischen dem Subjekt des Bewusstseins, dem Ich, und einem größeren Subjekt des Unbewussten, dem Archetyp des Selbst.

In der Aktiven Imagination geht es darum, sich aktiv mit Manifestationen des Unbewussten auseinanderzusetzen: Zunächst nimmt das Ich die aus dem Unbewussten auftauchenden Bilder, Fantasien, Geräusche, Gerüche etc. auf und gestaltet dann den weiteren Prozess, indem es mit ihnen in einen handelnden Dialog tritt, z.B. durch das Stellen von Fragen und das Hören auf die dann meist auch folgenden Antworten. Durch diesen aktiven Dialog unterscheidet sich die Aktive Imagination von der passiven oder der geführten Imagination.

C. G. Jung gibt in einem Brief von 1932 eine kurze, eindrückliche Darstellung vom Einstieg in die Aktive Imagination: „Denken Sie sich z.B. eine Fantasie aus und gestalten Sie sie mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden Kräften. Gestalten Sie sie, als wären Sie selbst die Fantasie oder gehörten zu ihr, so wie Sie eine unentrinnbare Lebenssituation gestalten würden. Alle Schwierigkeiten, denen Sie in einer solchen Phantasie begegnen, sind symbolischer Ausdruck für Ihre psychischen Schwierigkeiten; und in dem Maße, wie Sie sie in der Imagination meistern, überwinden Sie sie in Ihrer Psyche“ (Briefe I, S. 145).

1947 schreibt Jung in einem weiteren Brief: „Betrachten Sie das Bild und beobachten Sie genau, wie es sich zu entfalten und zu verändern beginnt. Vermeiden Sie jeden Versuch, es in eine bestimmte Form zu bringen, tun Sie einfach nichts anderes als beobachten, welche Wandlungen spontan eintreten. Jedes seelische Bild, welches Sie auf diese Weise beobachten, wird sich früher oder später umgestalten, und zwar auf Grund einer spontanen Assoziation, die zu einer leichten Veränderung des Bildes führt. Ungeduldiges Springen von einem Thema zum andern ist sorgfältig zu vermeiden. Halten Sie an dem einen von Ihnen gewählten Bild fest und warten Sie, bis es sich von selbst wandelt. Alle diese Wandlungen müssen Sie sorgsam beobachten und müssen schließlich selbst in das Bild hineingehen: Kommt eine Figur vor, die spricht, dann sagen auch Sie, was Sie zu sagen haben, und hören auf das, was er oder sie zu sagen hat. Auf diese Weise können nicht nur Sie Ihr Unbewusstes analysieren, sondern Sie geben dem Unbewussten eine Chance, Sie zu analysieren. Und so schaffen Sie nach und nach eine Einheit von Bewusstsein und Unbewusstem, ohne die es überhaupt keine Individuation gibt“ (Briefe II, S. 76).

Die Aktive Imagination ist somit eine Methode, die dazu dient, seelische Prozesse beobachtbar zu machen. Dabei geht es nicht um ein bloßes intellektuelles Verstehen, sondern um ein Verstehen durch inneres Erleben. Die Aktive Imagination stößt somit seelische Entwicklungs- und Veränderungsprozesse an, und es geht, so C. G. Jung im Vorwort zu „Das Geheimnis der Goldenen Blüte“, um nichts weniger als um „eine Erweiterung, Erhöhung und Bereicherung der Persönlichkeit“, um das „Jasagen zu sich selber – sich selbst als ernsthafteste Aufgabe sich vorsetzen“ (GW 13, § 24).

Dr. Susanne Gabriel